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Sachsen gibt sich zugeknöpft

Es ist das Schicksal der kleinen Dinge, dass sie zumeist übersehen werden. Wer an die Phasen der industriellen Revolution in Sachsen denkt, dem wird sicher die Bedeutung der Textilbranche einfallen. Aber wer denkt dabei schon an Knöpfe?

Dr. Ulrich Hahnemann widmete sich dieser Thematik: Er promovierte 2002 an der TU Chemnitz und leitet heute das Stadtarchiv in Bad Frankenhausen. Er war zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schlossmuseum Sondershausen und ist heutiger Museumsleiter des Regionalmuseums in Bad Frankenhausen.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Sachsen zum Zentrum der deutschen Textilindustrie. Und in ihrem Gefolge entfaltete sich auch der Zulieferer-Bereich, allen voran die Hersteller von Kleiderverschlüssen wie Schließen, Schnallen und Knöpfen. Wurden Knöpfe bis Mitte des 18. Jahrhunderts von zünftigen oder nicht zünftigen Handwerkern gefertigt, entstanden seitdem mehr und mehr privilegierte Manufakturen. Und im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung wurden seit 1830 die ersten Knopffabriken gegründet - zuerst in Metropolen wie Leipzig und Dresden, nach Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 1861 vermehrt auch in ländlichen Regionen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die sächsische Knopfindustrie hinter Preußen deutschlandweit führend; in einigen Zweigen der Knopfherstellung war Sachsen sogar absolute Spitze - in der Posamenten- und Häkelknopfherstellung ebenso wie in der Wäsche-, Zwirn- und Stoffknopfherstellung.

In meiner im letzten Jahr abgeschlossen Dissertation untersuchte ich den historischen Werdegang der hiesigen Knopfindustrie von der handwerklichen Fertigung bis zur industriellen Massenfertigung, die sich bis zum Ende der Weimarer Zeit großflächig durchgesetzt hatte. Mein Interesse an Knöpfen ist erblich bedingt: Ich entstamme einer Knopfmacher-Familie aus Bad Frankenhausen, wo sich in den 1960ern und 1970ern das Zentrum der DDR-Knopfindustrie befand. Die vorliegende Doktorarbeit zeigt auf, dass die Herstellung von Knöpfen nicht einem Handwerk allein oblag, sondern - je nach verwendetem Material - zum Produktionssortiment verschiedener Handwerker gehörte. Knöpfe aus Messing, Zinn, Eisen oder Stahl wurden vorrangig von Gürtlern, Nadlern oder Zinnknopfmachern gemacht. Teilweise veredelten sie ihre Knöpfe, indem sie sie vergoldeten oder versilberten. Knöpfe aus Holz, Bein, Elfenbein oder Perlmutt fertigten dagegen hauptsächlich die Drechsler. Gold- und Silberschmiede verarbeiteten die edlen Metalle Gold und Silber für ihre Knöpfe. Demgegenüber verwendeten Knopfmacher und Posamentierer zumeist Garn, Wolle, Seide oder Gold- und Silbergespinste.

Es waren also die Innungen der Gürtler, Nadler, Knopfmacher, Posamentierer und Drechsler, die bis in das 19. Jahrhundert hinein die Knopfherstellung dominierten. Nach Ende des Siebenjährigen Krieges im Jahr 1763, mit Beginn des Wiederaufbaues des wirtschaftlich schwer geschädigten Kurfürstentums Sachsen, wurde es den Knopfmachern erst möglich, solche Innungen in den größeren Städten Sachsens zu gründen. Innerhalb Deutschlands nahm Sachsen damit eine Sonderstellung ein. Es waren auch Angehörige dieser Innungen, die hier die ersten Manufakturen und Knopffabriken eröffneten.

Auch das zu verarbeitende Material war in die stürmische Entwicklung einbezogen. Zuerst stellten die metallverarbeitenden Handwerker ihre Knopfproduktion auf Fabrikbetrieb um, gefolgt von denen, die Holz- oder Schnitzstoffe verarbeiteten. Am Ende dieser Entwicklung standen die Innungen der Knopfmacher und Posamentierer, bei denen sich die Handarbeit zum Teil bis in unsere heutige Zeit erhalten hat. Um das Jahr 1930 wurde in Zwickau die letzte bedeutende Knopfmaschinen-Fabrik in Betrieb genommen, und bis in die 1960er Jahre hinein garantierte die positive Verbindung von sächsischer Knopfherstellung und Knopfmaschinenbau den herausragenden Stellenwert innerhalb Deutschlands.

Heute werden in Sachsen mehr Knöpfe in Museen ausgestellt als produziert. Nur wenige Firmen haben den Sprung in die Marktwirtschaft gewagt und bis heute durchgehalten. Zu ihnen gehören auch die Obererzgebirgischen Posamenten- und Effekten-Werke (OPEW) in Annaberg-Buchholz.

Doch die Knopfhersteller haben es schwer, gegen Klett- und Reißverschlüsse zu bestehen. Ein Blick auf die eigene Kleidung genügt, um zu erkennen, wie wenig Knöpfe noch verwendet werden. Von den rund 130 Knopfproduzenten, die einst in beiden deutschen Staaten existierten, bestanden im letzten Jahr gerade noch 25. Und die Entwicklung ist weiter rückläufig. Wenn sich die Mode weiter so »zugeknöpft«gibt, werden die Knopfhersteller wohl nur überleben können, wenn sie auch andere Produkte in ihr Sortiment aufnehmen.
Voraussichtlich im Herbst 2003 wird die Dissertation über die sächsische Knopfindustrie im Buchhandel erhältlich sein.

Dr. Ulrich Hahnemann

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